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17. März 2022

Buchtipp: Wir Internetkinder

Buchrezension von Lena Weissweiler (Dipl. Designerin)

»Wir Internetkinder« – damit meint die Autorin Julia Peglow diejenigen, die noch eine analoge Kindheit hatten und seit den Nuller Jahren immer tiefer ins digitale Zeitalter mäandern. Die letzte Generation vor den sogenannten Digital Natives. Diejenigen, die spiralgebundene Papierkalender beim Office Management noch live erlebt haben, und sich heute in digitalen Superstrukturen organisieren. Ganz schleichend hat sich mit ihnen ein neues Ziel in unserer Arbeit emanzipiert: Das Abarbeiten aller Emails, Terminen, Meetings und Calls. Sie beschreibt, wie uns unsere digitalen Strukturen sehr betriebsam schrittweise in die Passivität geleiten, und uns vom echten Machen entfernen. Wie konnte es passieren, dass uns der eigentliche Purpose im Arbeitsalltag verlorengegangen ist?

Vom Surfen auf der Exponentialkurve der Digitalisierung und dem Riss in der Wirklichkeit einer Generation

Wenn es zum Tagesziel wird, alle Emails abzuarbeiten, wer macht denn dann die eigentliche Arbeit? Helfen uns unsere digitalen Superstrukturen oder haben sie uns mental disconnected? Eine Ebene tiefer fragt die Autorin, ob uns der digitale Terminkalender eine neue Wirklichkeit zeichnet, in der nur noch stattfindet, was der Kalender weiß.

Julia Peglow beschreibt sehr emotional persönliche Situationen, in denen sie mit Systemen und Strukturen ringt, die sie entfremden. Sie versteht selbst nicht mehr, warum wir diese Strukturen Tag für Tag mit großem Kraftaufwand pflegen und füttern – manchmal offenbar nur, damit sie nicht zusammenbrechen.

»Wir Internetkinder« ist ein autobiografisches Buch. In vielen persönlichen Rückblenden nimmt uns die Autorin mit in ihre Zeit Ende der neunziger Jahre, in eine Londoner Agentur, und etwas später in ihre Berliner New Economy Szene Anfang der Nuller Jahre. Sie schreibt über das berauschende Gefühl, Schritt für Schritt die Digitalisierung mitzugestalten. Bis hin zu der Erkenntnis, dass das Wissenszeitalter bereits ein virtuelles Spiegelbild der echten Welt erschaffen hat.

Sich neugierig und ehrlich mit der aktuellen Situation auseinander zu setzen, lässt uns wieder zu Gestalter:innen des eigenen (Arbeits-)lebens werden.

In diesem spannenden Buch geht es nicht um Nostalgie. Es ist kein Weinen um die analoge Welt. Vielmehr geht es um die Gestaltung unserer Zukunft. Julia Peglow appelliert an unseren Intellekt und bricht eine Lanze dafür, dass wir uns unsere Denkräume zurückerobern, denn unser Denken wird bereits von Algorithmen gehackt. Nur so können wir zurückfinden zu einem verheißungsvollem Big Picture, und anfangen unsere wirklichen Probleme zu lösen.

Ein Thema, das gerade für uns Gestalter:innen nicht aktueller sein könnte: In einer mega komplex gewordenen Welt mit Superproblemen und Superkrisen.

Wunderbar gestaltet, dieser flexible Band mit silbernem Kopfschnitt und intensiven Farbschnitten in violett und mitternachtsblau. Das Buch knackt beim ersten Öffnen, so dass wir diesen Riss durch die Hände bis ins Herz spüren. Typografisch auf höchstem Niveau, inspiriert allein das Buchobjekt zu neuen Denkräumen.

Danke liebe Julia Peglow – für das Mitnehmen in die Vergangenheit und das Mutmachen für morgen!

Wir Internetkinder
304 Seiten
Autorin: Julia Peglow
Verlag: verlag hermann schmidt
ISBN: 978-3-87439-946-3
Preis: 29,80 €

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8 Kommentare zu diesem Beitrag vorhanden

  • Das Buch wäre natürlich die perfekte Vorbereitung auf die re-creation in Berlin im Mai! Und von Büchern aus dem Verlag Hermann Schmidt kann man als Designer:in ja ohnehin nie genug haben. 😉

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