Was passiert, wenn …
… Maschinen grundlegende Gestaltungsentscheidungen übernehmen? Oder ihre Prognosen über persönliche Vorlieben und Gewohnheiten wesentlicher Teil der User-Experience werden? Und wie verändert maschinelles Lernen strategisches Design, Corporate-Identity und das so genannte Autorendesign?
Das können beängstigende ja fast bedrohliche Fragen sein – zumindest für Designerinnen und Designer – sie können aber auch ganz neue Perspektiven eröffnen. Die Konferenz »Designing with Artificial Intelligence« (dai) hat sich im vergangenen Jahr diesen Fragen gestellt und das Potential ausgelotet, das im Machine Learning für die Zukunft von Design schlummert.
Die beiden Organisatoren der Konferenz, der BDG-Designer Marc Engenhart und Professor Sebastian Löwe haben nun einen englisch sprachigen Aufsatzband veröffentlicht, in dem deren Ergebnisse gebündelt nachzulesen sind.
Wir freuen uns sehr, dass wir nachfolgend eine gekürzte deutsche Fassung der Einleitung veröffentlichen dürfen:
Maschinelles Lernen als Designmaterial: Fragen, Themen und Herausforderungen für ML-assistiertes benutzerzentriertes Design
Im Juni 2020 veröffentlichte die OpenAI-Initiative die dritte Version eines Machine-Learning-Models, das sie als „Generative Pretrained Transformer“ oder kurz als GPT bezeichneten. […] GPT-3 und sein Ableger DALL-E sind […] in der Lage, Sprache und visuelle Gestaltung zu verknüpfen.
So haben Designer das Netz mit Sprachbefehlen gefüttert und heraus kam Grafikdesign. Jordan Singer, beispielsweise Produktdesigner bei Square, hat eine Prototyping-Lösung entwickelt, die GPT-3 nutzt. Singer tippt „Zeichne einen roten Kreis“ und das von ihm entwickelte Figma-Plug-In zeichnet einen roten Kreis. Dies mag banal erscheinen, aber wenn Singer GPT-3 verwendet, um eine App zu erstellen, wird die Leistung des Modells greifbarer. Singers Figma-Tool kann voll funktionsfähige Interfaces erstellen, die Instagram ähneln, nur auf Grundlage der Beschreibung eines Interfaces.
Ähnlich dramatisch kündigt sich DALL-E an, das aus kurzen Beschreibungen professionell aussehende Illustrationen und Grafiken erstellt. Von der Inspiration für Designerinnen, über Prototyping-Lösungen hin zum fertigen Entwurf sind es hier nur wenige Schritte. Fast vollständig automatisiert hat die Gestaltung die Firma Salesforce mit ihrem Tool „Einstein Designer“, das sich von Farbschemata und Schriftarten von rund eintausend eCommerce-Websites inspirieren lässt. Das Tool erstellt dann nicht nur Webshop-Layouts basierend auf dem Gelernten, sondern verbindet auch bestimmte Layouts mit bestimmten Kundenpräferenzen und personalisiert so Shop-Designs für bestimmte Käufer-Personas. Auf diese Weise erstellt Einstein Designer in Sekundenbruchteilen vollautomatisch Shop-Designs.
Auf der Konferenz „Designing with Artificial Intelligence – dai digital“ ging es nicht nur um Fragen der Automatisierung von Gestaltung, sondern gleichwertig auch um Fragen der Co-Creation mit Maschinen Learning (ML), der Inspiration und Augmentation der kognitiven Leistungen von Gestalterinnen. Wir haben Neuland betreten bei der wissenschaftlichen Debatte um die Wechselwirkungen von Design und Machine Learning und haben daher erst einmal grundlegende Fragen aufgeworfen:
● Werden intelligente Maschinen Designerinnen überflüssig machen?
● Wie erzielen Designerinnen interessante Ergebnisse bei der Arbeit mit intelligenten Maschinen?
● Wie bringen Designerinnen einer Maschine gute Entwurfsmethoden bei?
● Wie sehen effektive intelligente maschinelle Lernprozesse aus?
● Wie können sich Designerinnen mit maschinellem Lernen vertraut machen, um herauszufinden, welche Möglichkeiten beim Gestalten mit einer intelligenten Maschine bestehen?
● Welche Rolle können Designerinnen beim Entwerfen mit / für intelligente Maschinen spielen?
● Welche weiteren Fähigkeiten sollten Designerinnen beim Entwerfen mit / für intelligente Maschinen kultivieren?
● Wie viel Entscheidungsfreiheit benötigen Designerinnen im Designprozess?
● Welche Rolle spielen die Maschinen bei der Co-Creation?
● Gibt es ein Framework oder System, das den Entwurfsprozess mit intelligenten Maschinen unterstützt und erleichtert?
● Wie können Designer überzeugende User-Experiences für ML erschaffen?
● Gibt es ein Framework oder System, um ML-gesteuerte User-Experiences zu skizzieren und zu bewerten?
Um diese Fragen zu beantworten, allzu simple Vorstellungen von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen in Frage zu stellen und einen Überblick über das zu bekommen, was im Bereich des Entwerfens für und mit ML relevant, erreichbar und wünschenswert ist, haben wir eine Vielzahl von Referentinnen zur dai digital Konferenz eingeladen. Ihr beruflicher Background reichte von Design, Computer- und Data-Science, über Kognitionswissenschaft, Designforschung, Designmanagement bis hin zur Bildenden Kunst. Insgesamt war es unser Ziel, einen niedrigschwelligen Einstieg in Welt des ML-gesteuerten Designs aus gestalterischer Sicht zu ermöglichen und gleichzeitig ein kritisches Forum für Designforscherinnen, Praktikerinnen und Studentinnen zu bilden, um diese Fragen gemeinsam zu beantworten und neue Fragen zu stellen.
In dem nun vorliegenden digitalen Sammelband haben wir Autorinnen zusammengebracht, die versuchen, einige der oben aufgeworfenen Fragen systematisch zu beantworten. Es ist eine Mischung aus theoretischen Positionen, Einblicken in die praktische Arbeit mit intelligenten Maschinen und kritische Beiträge zum Machine-Learning-Diskurs.
[…]
Sowohl die Keynote-Videos der dai digital, als auch der digitale Sammelband sind nun kostenlos auf der Konferenz-Website abrufbar.
Wir bedanken uns herzlich beim Berufsverband der Kommunikationsdesigner für die Partnerschaft und Unterstützung der Konferenz.
Marc Engenhart & Sebastian Löwe
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