Insight Lobbyarbeit – Es kann losgehen.
Ein Schaustück in 7 Szenen
Von Thomas Bender
Wir sind Kreative. Haben gelernt, schnell zu reagieren. Aber in ein solches Gespräch gehen, ohne Vorbereitung? Ich kann das nicht.
Szene 01
Seit Februar 2023 führt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) eine öffentliche Konsultation zur geplanten Novellierung des Vergaberechts durch. Alle Stakeholder, die wie der Deutsche Designtag (DT) eine schriftliche Stellungnahme abgegeben hatten, wurden zu einem Austausch eingeladen. Für uns geht es u.a. um die Frage, ob bei der öffentlichen Ausschreibung von Designleistungen weiterhin Vorleistungen verlangt werden dürfen, ohne diese angemessen zu vergüten. Hier berichtet der BDG-Referatsleiter Wirtschaft aus einer der Gesprächsrunden.
Die Videokonferenz
20. Juni 2023, 14 Uhr 45
Inzwischen haben sich 205 Teilnehmer:innen eingeloggt. Vor uns liegen 90 Minuten Webex-Konferenz im BMWK. Die vierte seit dem Eröffnungsplenum vor 2 Wochen.
Überschlagen wir mal kurz. Die thematische Einführung wird zwei, drei Minuten dauern. Dazu kommt das übliche Geplänkel zur Begrüßung und zum Abschied und ein paar Minuten für die Moderation. Bleiben 80 Minuten oder 4.800 Sekunden, die sich rund 200 Teilnehmer teilen müssen. Selbst wenn sich nur die Hälfte der Anwesenden zu Wort meldet, bleiben mir gerade mal 48 Sekunden – weniger als eine Minute. Dein Beitrag muss sitzen.
Wie immer bei solchen Anhörungen, werden wir auch hier wieder Zeit opfern müssen. Wir werden Leute hören, die vorgeben, den Durchblick zu haben. Leute, die auf dem Ticket eines großen Verbandes reisen. Leute, die ihre Macht demonstrieren, dafür einen Haufen Geld kassieren und uns die Zeit stehlen. Redezeit, Lebenszeit. Das ist immer so.
Aber dann gibt es ja noch die Anderen. Leute, die etwas zu sagen haben und wirklich etwas bewegen wollen. Menschen, mit denen es sich lohnt, zu streiten.
Oft genug setzten sich einflussreiche Lobbyisten gegen das Gemeinwohl durch [Anmerkung der Redaktion: Einfluss, Macht und Geld, Thomas Bender über Lobbyarbeit, 02. Februar 2022].
Du kennst das aus den Recherchen von abgeordnetenwatch.de. Doch wo starke Kräfte walten, entstehen Gegenkräfte. Die gut bezahlten Vertreter:innen aus den Government-Relations-Abteilungen stoßen immer öfter auf gut organisierte Vertreter:innen aus den Berufsverbänden. Menschen, die sich um die Belange ihrer Berufskolleg:innen kümmern. Unsere Ehrenämter sind vielleicht weniger einträglich, aber bestimmt nicht weniger wert. Denn die schiere Anzahl der Menschen, die wir vertreten, macht uns als Ansprechpartner unverzichtbar.
Vor uns liegen 90 Minuten konzentrierter Austausch – hinter uns unzählige Stunden intensiver Vorbereitung.
Um mit den großen Verbänden an einem Tisch sitzen zu können, müssen wir uns zusammentun. Beispiel Design. Der Deutsche Designtag (DT) ist die Dachorganisation der Designbranche. Im DT sind die wichtigsten Akteure des deutschen Designs aus den verschiedenen Disziplinen (Grafik- und Kommunikationsdesign, Illustration, Mode- und Accessoiredesign, Produkt- und Industriedesign, UX- und Social Design) vertreten.Im DT setzt sich der BDG schon seit längerem für faire Vergabeverfahren im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen ein.
Szene 02
45 Minuten zuvor
14 Uhr – letzte Vorbereitungen
Noch eine Stunde. Du hast Dir in den letzten Wochen die Stellungnahmen einiger Akteure angeschaut, die auch heute sicher wieder dabei sind. Welche Branchen und Argumente werden die Diskussion heute bestimmen? Von welcher Seite droht Gegenwind? Du hast Dich mit einer Sammlung von Argumenten und Gegenargumenten, Statistiken und Links gewappnet, die wirst Du sicher brauchen. Schon beim letzten Mal ploppten im Chat alle paar Sekunden Rückfragen und Kommentare zu den mündlichen Stellungnahmen auf. Nicht alle waren nett gemeint. Dabei entwickelten sich permanent neue Threads, denen man unbedingt folgen sollte, wenn man die Deutung über den eigenen Redebeitrag nicht anderen überlassen will. Alle Kanäle gleichzeitig im Blick zu behalten und zu bespielen, wird uns ganz schön fordern. Ich bin froh, dass Stefan dabei ist, mitliest und kommentiert.
Szene 03
Zwei Wochen vorher
6. Juni 2023, 16 Uhr: Das Eröffnungsplenum mit Staatssekretär Sven Giegold:
Wir waren zu dritt, Florian, Stefan und ich beim Eröffnungsplenum, das zwei Wochen zuvor stattgefunden hat. Für die nachfolgenden Stakeholder-Termine „Vereinfachung Beschleunigung”, „Digitalisierung einschl. Rechtsschutz“, „Nachhaltige öffentliche Beschaffung“ und „KMU, Start-Ups und Innovation“ haben wir uns aufgeteilt. Als Ehrenamtler müssen wir unsere Ressourcen einteilen. Gleich zu Beginn stellte Sven Giegold eine Denksportaufgabe: „Alle, die mehr Nachhaltigkeit fordern, müssen auch sagen, wie das praxisgerecht und ohne erhöhte Hürden für den Mittelstand möglich ist und wo man Bürokratie abbauen kann. Und umgekehrt: Alle, die einfache, schnelle Verfahren wollen, müssen auch sagen, wie dabei Nachhaltigkeit und wichtige strategische Ziele etwa im Bereich von Umwelt, Klima und Soziales im öffentlichen Auftragswesen erreicht werden können.“
Seine Aussage beschreibt den Diskursraum, in dem viele der Teilnehmenden nur eine Seite sehen wollen. Entweder Nachhaltigkeit oder Bürokratieabbau. Entweder Beschleunigung oder soziale Verantwortung. Die gegensätzlichen Interessen scheinen unvereinbar. Vielleicht ist das gar nicht so. Doch wie das in den Griff bekommen? Beim Eröffnungsplenum war erstmal noch Orientierungsphase.
Szene 04
Vier Monate vorher
14. Februar 2023, 14 Uhr 52: Die Stellungnahme ist abgeschickt
Der Deutsche Designtag gibt eine Stellungnahme zur geplanten Novellierung des deutschen Vergaberechts ab.
Unter den 450 eingegangenen Stellungnahmen haben sich viele Städte beteiligt, Bundesbehörden und Landesämter, große Gewerkschaften wie die IG Metall, mächtige Verbände wie der BDI, aber auch bekannte NGOs wie Transparency International.
In der fünfseitigen Stellungnahme des DT , die unter der Nummer 401 auf der Website des Ministeriums veröffentlicht wurde, haben wir dem Ministerium zu allen Aktionsfeldern des »Vergabetransformationspakets« Vorschläge unterbreitet.
Szene 05
Wie alles begann
13. Oktober 2020
Der Deutsche Designtag gibt den Leitfaden Designaufträge erfolgreich vergeben heraus.
Szene 06
Zurück zum Anfang
20. Juni 2023, 14 Uhr 55
Endlich die Gelegenheit, unsere Vorschläge zu erläutern. Stefan und ich bei der vierten Anhörung des Referats IB3 im BMWK. Thema heute „KMU, Start-Ups und Innovation“. In der Einladung stand die Frage: „Wie können KMU, Start-Ups und Innovation bei öffentlichen Aufträgen gefördert werden?“
Also noch schnell den zweiten Monitor an, die Stichpunkte für unsere mündliche Stellungnahme öffnen und die Sammlung mit den Argumenten, Zahlen und Quellen überfliegen. Ist alles gut lesbar? Hab’ ich genug Kaffee? Es kann losgehen.
Szene 07
Von Deutscher Designtag | Thomas Bender an alle: 3:58 PM
77VgV (2): „Verlangt der öffentliche Auftraggeber außerhalb von Planungswettbewerben darüber hinaus die Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen für die gestellte Planungsaufgabe in Form von Entwürfen, Plänen, Zeichnungen, Berechnungen oder anderen Unterlagen, so ist einheitlich für alle Bewerber eine angemessene Vergütung festzusetzen.“
https://www.gesetze-im-internet.de/vgv_2016/__77.html
[…]
Von Deutscher Designtag | Thomas Bender an alle: 4:04 PM
@Landesbehörde: D.h. Sie wollen (Solo-)Selbständige umsonst arbeiten lassen? Der volkswirtschaftliche Schaden dürfte höher sein als die Beschaffungskosten: Für alle Bieterinnen und Bieter, die keinen Zuschlag erhalten, sind die eingereichten Arbeiten wertlos, d.h. wochenlange Arbeit umsonst.
[…]
4:07 PM
@Landesbehörde: Aber die öffentlichen Vergabestellen sind steuerfinanziert, sind also Vorbild und haben Verantwortung gegenüber der gesamten Gesellschaft.
[…]
4:08 PM
@Landesbehörde: Eine makroökonomische Perspektive wäre hier sicher sinnvoll! Ansonsten müssen wir mit den Folgekosten leben!
20. Juni 2023, 15 Uhr 55
„Mein Name ist Thomas Bender, ich spreche hier für den Deutschen Designtag, die Dachorganisation der deutschen Designwirtschaft. Einem Markt, in dem es 60.000 Unternemen gibt, der aber eher kleinteilig strukturiert und durch einen sehr hohen Anteil von Solo-Selbständigkeit geprägt ist.
Ich möchte zwei Punkte – Anforderungen und Risiko – herausgreifen.
Zum Thema Anforderungen: Bei Ausschreibung von Designleistungen auf Grundlage der UVgO [Anmerkung der Redaktion: Unterschwellenvergabeordnung] werden immer wieder unvergütete Arbeitsleistungen wie Entwürfe oder Konzepte abgefordert, die zusammen mit dem Angebot eingereicht werden sollen.
Solche Vorleistungen sollen dann als Lösungsvorschläge für die ausgeschriebene Aufgabenstellung entwickelt werden. Für Bieterinnen und Bieter, die keinen Zuschlag erhalten, sind die eingereichten Arbeiten daher wertlos.
Das ist gerade für kleinere Unternehmen betriebswirtschaftlich nicht darstellbar und läuft dem Gebot der Wirtschaftlichkeit auf Bieterseite zuwider.
Die Folge: Viele Designerinnen und Designer bewerben sich nicht mehr auf solche Ausschreibungen. Von den Vergabestellen wird dann beklagt, wie wir heute mehrfach gehört haben, dass zu wenige Angebote eingehen.
Eine Lösung des Problems kostenloser Vorleistungen könnte darin bestehen, §77 VgV (2) in die UVgO zu übernehmen. Link siehe Chat.
Zum Thema Risiko: Vielen Vergabestellen fällt es schwer, digitale Lösungen z.B. für Apps oder Webservices so zu beschreiben, dass sich qualifizierte Anbieter angesprochen fühlen.
Lösung. Erstens: Qualifizierung der Vergabestellen.
Zweitens: Wie mein Vorredner von KOINNO [Anmerkung der Redaktion: Kompetenzzentrum innovative Beschaffung des BMWK] bereits angemerkt hat, sehen auch wir in der Nutzung der funktionalen Leistungsbeschreibung eine Möglichkeit, dem Charakter von Design als einer geistig-schöpferischen und kreativen Entwicklungsleistung stärker Rechnung zu tragen, d.h. keine konkrete Lösung vorzugeben, sondern die Anforderungen und den Bedarf zu formulieren. Nur dann sind innovative Lösungen zu erwarten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!“
Inzwischen im Chat – überwiegend Zustimmung aber auch eine knallharte Ablehnung: Der Vertreter einer Landesbehörde schreibt, dass eine Vorschrift zur angemessenen Vergütung von Designleistungen (wie in §77 VgV, Absatz 2) die Beschaffungskosten massiv erhöhen würde. Ach so? Danke für die Vorlage. Here we go.
Die nächsten Schritte: Anfang 2024
Das Ministerium hat angekündigt, einen ersten Referentenentwurf des neuen Gesetzestextes vorzulegen – für uns ist das die Gelegenheit zu prüfen, ob unsere Vorschläge berücksichtigt wurden. Die zweite Feedbackrunde dürfte noch spannender werden, als die erste. Letztlich sind es die Mitarbeiter:innen der zuständigen Referate in den Ministerien, die die Gesetze schreiben, bevor ein neues Gesetzesvorhaben vom Bundeskabinett beschlossen und von den Abgeordneten der Bundestagsfraktionen in mehreren Lesungen beraten werden kann.
Das Team
Thomas (BDG) ist Referatsleiter Wirtschaft im BDG. Er leitet den Rat für Vergaberichtlinien und Ausschreibungen im DT und ist einer von vier Designvertreter:innen im Fachausschuss Arbeit und Soziales im Deutschen Kulturrat. 2023 arbeitete er an einem Vorschlag zur Arbeitslosenversicherung (inkl. Kurzarbeiteräquivalent) für (Solo-)Selbständige mit und machte sich für branchenweite Empfehlungen von Mindest- bzw. Basishonoraren stark.
Stefan (BDG) hat die schriftliche Stellungnahme des DT zur Novellierung des Vergaberechts (siehe 14. Februar 2023, 14 Uhr 52) ausformuliert, er ist Referent für Vergaberichtlinien und Ausschreibungen im BDG, Mitglied im Rat für Vergaberichtlinien und Ausschreibungen des DT sowie im Fachausschuss Bildung des Deutschen Kulturrats.
Florian (IDZ) bereichert den Rat für Vergaberichtlinien und Ausschreibungen des DT mit Expertise und Erfahrung aus der Vergabepraxis und setzt sich seit vielen Jahren, nicht nur bei den Anhörungen des Bundesministeriums (siehe 06. Juni 2023, 16 Uhr) für bessere Bedingungen für Designschaffende bei öffentlichen Ausschreibungen ein.